Von oben XXVIII

Bei der Betrachtung des Bildes der sich nackt sonnenden Frau würde man erfahrungsgemäß davon ausgehen, dass die durch den Sonnenschirm geschützten Körperpartien, anders als im Bild und im Gegensatz zum Rest des Körpers, ungebräunt bleiben.

Die Seherfahrung ist jedoch eine ganz andere. Der dem grellen Sonnenlicht ausgesetzte Körper wird überstrahlt, wodurch er Farbe und Körperlichkeit sowie scharfe Konturen einbüßt. Der abgeschattete Teil des Körpers erhält hingegen durch das gedämpfte Licht seine volle Farbigkeit und damit Plastizität, welche die weiblichen Formen wiedergeben.

Wird die Nacktheit unter dem Schutz des Sonnenschirms trotz ihrer sinnlichen Präsenz weniger stark empfunden? Oder verhüllt vielmehr das grelle Licht der Sonne den ungeschützten Bereich durch Überstrahlung wie mit einer zweiten Haut? Als Parallelgeschehen gießt eine nur durch seinen Schatten erkennbare weitere Person der jungen Frau, welche in Richtung ihres Begleiters schaut, von oben ein Glas Rotwein ein. Der Blick des Bildbetrachters, am unteren Bildrand noch von oben nach unten gerichtet, wandert zum oberen Bildrand in Richtung Horizont (siehe dynamische Perspektiven).

Das Bild entstammt dem Genre der Aktmalerei – ein Akt, von oben, so der unverfängliche Titel der Bildreihe.